Das Verhältnis zwischen den Kriminalwissenschaften zur Polizeiwissenschaft ist bis heute nicht abschließend geklärt. Teils geht man davon aus, dass es sich um zwei getrennte Wissenschaftsgebiete mit unterschiedlichem Gegenstandbereich handelt, teils werden die nichtjuristischen Kriminalwissenschaften weitgehend als Teildisziplinen einer umfassenden Polizeiwissenschaft bzw. als wichtiger Teil davon angesehen.[1]
Unterscheidet man Polizeiwissenschaft im engeren und im weiteren Sinne, so kann man als Polizeiwissenschaft im engeren Sinne die Wissenschaft von der Polizei und ihrem Handeln definieren (Polizei als Institution). Polizeiwissenschaft im weiteren Sinne könnte die Wissenschaft von der Polizei in ihren gesellschaftlichen, rechtlichen und institutionellen Bezügen darstellen. Die Aufgabe der Polizeiwissenschaft im weiteren Sinne kann auch darin gesehen werden, Erkenntnisse über Polizei und polizeiliches Handeln zu gewinnen sowie polizeirelevantes Wissen zu erheben und zu systematisieren.[2]
Nach dieser Auffassung von Polizeiwissenschaft geht es also nicht nur um die Anwendung von Wissenschaft auf die Polizei, sondern darüber hinaus um die Nutzbarmachung von Wissen für die Polizei zur Professionalisierung und Spezialisierung.[3]
Die Grund- und Bezugswissenschaften (auch Kriminologie und Kriminalistik) gehen nicht derart in einer übergreifenden Polizeiwissenschaft auf, dass sie ihre Eigenständigkeit verlieren. Polizeiwissenschaft verfügt nicht über eigene, spezifische Methoden der Forschung, sondern bedient sich der Methoden der in ihr integrierten Wissenschaften.
Den europäischen Ansatz der Polizeiwissenschaft zu erheben und weiterzugeben hat sich seit Anfang 2005 auch eine international besetzte Arbeitsgruppe der Europäischen Polizeiakademie (CEPOL) zum Ziel gesetzt. CEPOL betreibt eine eigene Datenbank, die im Internet unter www.cepol.net zu erreichen ist.[4]
In diesem Kontext können auch die an den Fachhochschulen des Bundes und vor allem der Länder im Fachbereich Polizei eingerichteten Studienfächer der Polizeiführungs- und Kriminalwissenschaften betrachtet werden. Erstere beinhalten an den Fachhochschulen die Studienfächer Führungs- und Einsatzlehre, letzter Kriminalistik und Kriminologie.
Zu den einzelnen Studienfächern ist aus hessischer Sicht folgendes anzumerken:
Führungslehre Das Studienfach Führungslehre wird in Hessen mit einem Stundenansatz von insgesamt 76 Stunden nur noch im Hauptstudium unterrichtet. Als allgemeines Studienziel gilt, dass die Studierenden die wissenschaftlichen Grundlagen des Führungs- und Problemlösungsprozesses kennen sollen, um Führungsaufgaben und Führungshandeln zu verstehen und beurteilen zu können. Dabei sollen sie befähigt werden, die Rolle und das Verhalten des Individuums in der sozialen Organisation einschätzen zu können, um kooperative Mitarbeit und Motivation zu fördern. Berufsrelevante Abläufe und berufsethische Problemfelder der Dienstverrichtung sollen erkannt, erörtert und beurteilt werden können.
Einsatzlehre Ein weitaus höherer Stundenansatz ist im Studienfach Einsatzlehre mit insgesamt 228 Stunden vorgesehen, die sich mit je 57 Stunden gleichmäßig auf alle vier theoretische Semester (Grundstudium I und II, Hauptstudium I und II) verteilen. Als allgemeines Studienziel gilt hier, dass die Studierenden eine auf theoretischen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen basierende Handlungskompetenz erlangen und die Planung, Organisation und Durchführung vollzugspolizeilicher Maßnahmen im Rahmen von Prävention und Repression erlernen sollen. Dabei sollen sie bei interdisziplinärer Beurteilung Führungs- und Einsatzgrundsätze sowie kriminalistische Methoden planvoll und zielgerichtet anwenden können. Auch nicht alltägliche und komplexe Einsatzaufgaben sollen bis zu einer möglichen Führungsübernahme bürgernah, lageangemessen und flexibel bewältigt werden können.
Kriminalistik Ein noch höherer Stundenansatz ist im Studienfach Kriminalistik zu verzeichnen. Hier sind für die Beamtinnen und Beamten der Schutzpolizei insgesamt 266 Stunden, für die im praktischen Polizeidienst bereits erfahrenen Beamtinnen und Beamten, die ihr Qualifikationsstudium absolvieren, 323 Stunden und für die ab September neu eingestellten Laufbahnbeamtinnen und –beamten, die an einem direkten Einstieg in die kriminalpolizeiliche Laufbahn teilnehmen, sogar 361 Stunden vorgesehen. Als allgemeines Studienziel gilt hier, dass die Studierenden zur Übernahme von Aufgaben der präventiven und repressiven Verbrechensbekämpfung im praktischen Dienst befähigt werden sollen. Insbesondere sollen sie in die Lage versetzt werden, organisatorische und technische Einrichtungen und sonstige Instrumentarien kriminalistisch zu nutzen, sich einschlägige wissenschaftlich-technische und andere Erkenntnisse nutzbar zu machen und praktisch umzusetzen, kriminalistische Strategien, Taktiken, Methoden und Hilfsmittel anzuwenden und zu entwickeln. Darüber hinaus sollen sie motiviert und befähigt werden, ihre Kenntnisse ständig im Hinblick auf phänomenologische Veränderungen der Verbrechensformen neue kriminalistische Erkenntnisse zu aktualisieren und in der praktischen Kriminalitätsbekämpfung umzusetzen.
Kriminologie Im Studienfach Kriminologie haben die Beamtinnen und Beamten der Schutzpolizei insgesamt 96 Stunden, die bereits im praktischen Polizeidienst erfahrenen Kriminalbeamtinnen und -beamten, die ihr Qualifikationsstudium absolvieren, 171 Stunden und die ab September neu eingestellten Laufbahnbeamtinnen und –beamten, die an einem direkten Einstieg in die kriminalpolizeiliche Laufbahn teilnehmen, 209 Stunden zu absolvieren. Nach dem hier gültigen allgemeinen Studienziel sollen die Studierenden, unter Berücksichtigung laufbahnspezifischer Schwerpunktsetzungen, sich mit der Vielfalt möglicher und typischer Ursachen und Zusammenhänge bei der Entstehung des Verbrechens auseinandersetzen, traditionelle und neue Erscheinungsformen der Kriminalität analysieren, Typologien und Gesetzmäßigkeiten erkennen und ableiten, das Wesen und die Wirkungen gesellschaftlicher Reaktionen auf das Verbrechen beurteilen können. Dabei sollen sie sich nicht nur auf die Reflektion wissenschaftlich theoretischer Erkenntnisse beschränken, sondern vor allem ständig und in jeder Phase ihre praktische Nutzanwendung für tägliche Situationen in der vollzugspolizeilichen Praxis erarbeiten und verdeutlichen. Umgekehrt sollen sie auch befähigt werden, kriminologische Erkenntnisse und Gesetzmäßigkeiten aus der polizeilichen Praxis abzuleiten, um diese dann gezielt bei der Kriminalitätsbekämpfung zu verwenden.
Quellen: [1] Neidhardt, Klaus: Kriminalistik und Kriminologie im Verhältnis zur Polizeiwissenschaft“; in: Lehr- und Studienbriefe Kriminalistik / Kriminologie, Band 1, S. 15, VDP, Hilden, 2005
[2] Stock, Jürgen, „Lässt die Kriminologie Platz für eine Polizeiwissenschaft?“, in: PFA (Hrsg.): Kriminologie 2000 – Positionen und Perspektiven, Schriftenreihe der PFA, Band 3/2000, S. 95 - 120
[3] Schneider, H.-J.: Polizeiforschung, Lehr- und Studienbrief Kriminologie Nr. 15, S. 8, VDP, Hilden 2002
[4] Neidhardt, Klaus: Kriminalistik und Kriminologie im Verhältnis zur Polizeiwissenschaft“; in: Lehr- und Studienbriefe Kriminalistik / Kriminologie, Band 1, S. 18, VDP, Hilden, 2005